Kleider
machen Leute - Gottfried Keller:


Inhaltsangabe:

An einem kalten Wintertag
wandert der arme Schneider Wenzel Strapinski auf der Landstraße
von Seldwyla nach Goldach, um eine neue Arbeitsstelle zu finden.
Als er so dahingeht, kommt eine vornehme Kutsche heran und der
Lenker des Gefährtes erbietet sich, Strapinski mitzunehmen. Da
es noch ein weiter Fußmarsch bis Goldach ist, nimmt Strapinski
dieses Angebot an und steigt ein.


In Goldach angekommen,
hält die Kutsche vor einem Gasthaus. Eine Menge Leute versammeln
sich, um zu sehen, wer aus diesem prächtigen Gefährt aussteigt.
Da der Schneider von edlem Aussehen ist und sein schönes
"Sonntagsgewand" trägt, halten ihn alle für einen
polnischen Grafen. Er wird in das Gasthaus geleitet, wo ihm ein
köstliches Mahl aufgetragen wird. Der Hunger überwiegt sein
schlechtes Gewissen, sodass er die Gunst der Stunde nützt und
sich das Essen schmecken lässt. Aus Neugierde über den fremden,
noblen Grafen gesellen sich später einige Herren der Goldacher
Gesellschaft zu ihm. Was immer Strapinski auch tut bzw. wie immer
er sich verhält, alles wird von den Goldachern als Vornehmheit
ausgelegt.


Strapinski macht einige
Fluchtversuche, doch es gelingt ihm nicht, zu entkommen. Abends
wird er zu einem Besuch beim Amtsrat eingeladen. Dort lernt er
Nettchen, die Tochter des Gastgebers kennen und die beiden
verlieben sich ineinander. Die Goldacher sind sehr hilfsbereit
und stellen dem vermeintlichen Grafen sogar Kleider, Schuhe,
Toilettartikel und andere Sachen zur Verfügung, weil sie
annehmen, er sei in Schwierigkeiten.


Da Strapinski aber immer
noch die Absicht hat, Goldach zu verlassen, kündigt er bei einem
Festmahl eine dringende Geschäftsreise an. Daher soll in wenigen
Tagen die Verlobung zwischen Nettchen und dem vermeintlichen
Grafen gefeiert werden. Strapinski veranstaltet dazu eine
Schlittenfahrt zu einem Gasthaus, das zwischen Goldach und
Seldwyla gelegen ist. Doch gerade an diesem Tag planen auch die
Seldwyler eine Schlittenfahrt, deren Ziel ebenfalls dieses
Gasthaus ist. Die Goldacher besetzen den oberen Saal des
Gasthauses, während sich die Seldwyler im unteren Saal
einfinden. Nach einiger Zeit kommt eine Seldwyler Abordnung zu
den Goldachern und führen einen Schautanz auf. Zuerst wird der
Spruch: "Leute machen Kleider" versinnbildlicht, indem
die Seldwyler die Bewegungen eines Schneiders nachahmen. Danach
wird das Sprichwort: "Kleider machen Leute"
dargestellt, wobei Strapinski von seinem früheren Meister
erkannt, verhöhnt und vor allen bloßgestellt wird. Aus Scham
und Schande stürzt Strapinski aus dem Gasthaus und flüchtet auf
die Straße Richtung Seldwyla. Um von den heimfahrenden
Seldwylern nicht entdeckt zu werden, versteckt sich Strapinski
abseits der Straße im Schnee, legt sich hin und schläft ein.


Nach einiger Zeit eilt
auch Nettchen aus dem Saal, nimmt eine Kutsche und beginnt,
Strapinski zu suchen. Sie findet ihn halberfroren und bewusstlos
neben der Straße liegen, worauf sie ihn mit Schnee abreibt,
sodass dieser das Bewusstsein wieder erlangt. Gemeinsam fahren
sie zum Hof einer Bekannten. Dort erzählt Strapinski Nettchen,
wie es zu diesem Missverständnis gekommen sei. Trotz seiner
Armut bekennt sich Nettchen zu ihm und sie beschließen zu
heiraten.


Die Kunde über die
bevorstehende Hochzeit zwischen Nettchen und dem armen Strapinski
verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Als den Seldwylern bekannt
wird, dass Nettchen eine beträchtliche Erbschaft zu erwarten
hat, schlagen sie sich auf die Seite des Paares. Die Goldacher
ihrerseits glauben an eine Entführung Nettchens durch Strapinski
und versuchen, mit Gewalt Nettchen aus Seldwyla zu holen, was
ihnen jedoch misslingt.


Strapinski, Nettchen und
ihre gemeinsamen Kinder verbringen einige Jahre in Seldwyla, wo
sich Strapinski durch Sparksamkeit und Fleiß zu einem klugen
Geschäftsmann etabliert. Später übersiedelt der inzwischen
vermögend und wohlhabend gewordene Strapinski mit seiner Familie
nach Goldach, wo er ein angesehener Bürger wird.


Wie kann
Strapinski charakterisiert werden?


Strapinski ist im Grunde
genommen ein armer, ehrlicher und rechtschaffender Mann. Er hat
eine ruhige und zurückhaltende Wesensart. Seine noble Kleidung
und sein vornehmes Aussehen werden ihm zum
"Verhängnis". In seiner Rolle als Graf fühlt er sich
nicht ganz wohl, denn die Angst vor dem Erkanntwerden und das
schlechte Gewissen sind seine ständigen Begleiter.


Strapinski sieht jedoch
die verzwickte Situation als seine Chance "mehr bzw. etwas
Besseres sein zu können" und stolpert somit über sein
eigenes Ich. Er kann die anderen belügen und täuschen, jedoch
nicht sich selbst.


Wie
verhält sich seine Umwelt?


Nettchen:

Sie verliebt sich zuerst
in das Aussehen und Benehmen des vermeintlichen Grafen
Strapinski. Erst als die Fassade des Grafen bröckelt und die
ganze Wahrheit zum Vorschein kommt, lernte sie, die anderen Werte
und Charakterzüge ihres "Fast-Verlobten" zu lieben.
Nettchen beweist Charakterstärke und bekennt sich allen
Konventionen zum Trotz zu Strapinski. Sie liebt ihn und sie
erkennt sein wahres Ich.


Goldacher:

Die Goldacher sind sehr
gutgläubig und denken ja nicht im Entferntesten daran, dass der
Graf Strapinski nur ein vermeintlicher Graf sei. Sie sind sehr
gastfreundlich, gönnerhaft und großzügig zu ihm, denn sie
stellen ihm sogar Kleidung, Schuhe, Toilettartikel usw. zur
Verfügung. Durch die bevorstehende Verlobung mit Nettchen sehen
sie ihn schon "als einen von ihnen" an. Doch als sie
dann die Wahrheit über Strapinski erfahren und Nettchen (als
eine von ihnen) trotzdem zu Strapinski hält, glauben sie an eine
Entführung Nettchens durch Strapinski. Die Goldacher wollen
Nettchen mit Gewalt aus Seldwyla befreien, was ihnen aber
misslingt.


Seldwyler:

Strapinski wird von den
Seldwylern entweder aus Wahrheitsliebe, aus Rache ihm gegenüber
oder um den rivalisierenden Goldachern "eins
auswischen" zu können, vor den Augen der Goldacher
enttarnt.


Erst als bekannt wird,
dass es trotzdem zur Hochzeit zwischen Nettchen und Strapinski
kommt und Nettchen ein beträchtliches Erbe erhalten soll,
schlagen sich die Seldwyler auf die Seite des Paares.


Was sind
die Themen dieser Novelle?



  • Verhältnis zwischen
    Schein und Sein

  • Täuschung und
    Realität

  • Mehr sein zu wollen,
    als man ist

  • Oberflächlichkeit
    der Gesellschaft

  • Lügen haben kurze
    Beine



Kann ein
Bezug zur Gegenwart hergestellt werden?


Ja, es kann sogar ein sehr
guter Bezug zur Gegenwart hergestellt werden. Diese Geschichte
spiegelt sehr unsere Zeit und unsere Konsumgesellschaft wider,
denn "das Streben nach Mehr" (mehr Macht, mehr Geld,
mehr Luxus, mehr Schönheit, mehr Besitz, ...) ist in den
Vordergrund getreten bzw. es wird verstärkt "alles dem Geld
untergeordnet".


In der heutigen Zeit wird
der Mensch hauptsächlich nach seinem Äußeren – der
Fassade - beurteilt. Es kommt viel zu viel auf das Aussehen an
und es wird immer weniger auf den eigentlichen "Kern"
des Menschen, nämlich das Innere bzw. die inneren Werte,
geachtet.


Die äußerlichen Werte
werden durch Medien und Printmedien vorgegeben und jeder will
solch einem vorgegaukelten "Idealbild" in irgendeiner
Weise entsprechen. Man denke z.B. nur an die
"superdünnen" Models, die einen regelrechten
Schlankheitswahn – hauptsächlich bei jungen Mädchen -
hervorrufen, oder an die Geschäfte mit den
Schönheitsoperationen, welche "ewige Jugend und
Schönheit" versprechen.


In der heutigen Zeit
spielt die Fassade in jeder Hinsicht eine zu große Rolle.


Man kann andere täuschen
oder belügen, aber nicht sich selbst.


Entspricht
die Geschichte den Merkmalen der Gattung Novelle?


Ja, denn es handelt sich
um eine Geschichte, deren Begebenheit wahr sein könnte. Die
Handlung verläuft linear ohne Nebenhandlung mit einer Einleitung
und einem Schluss. Der Aufbau ist ähnlich dem Drama (Einleitung,
Beschreibung der Ausgangssituation, Begebenheit, Spannung, Krise,
Wendepunkt, Schluss).